Wem nützen "Bürgerkonferenzen"?
Ein Modellprojekt zur genetischen Diagnostik und seine unmöglichen Wirkungen und möglichen Nebenwirkungen

Eine so genannte "Bürgerkonferenz", initiiert vom Deutschen Hygiene-Museum, hat sich Ende November in Dresden auf ein "Bürgervotum zur Gendiagnostik" geeinigt. Das Positionspapier soll nun eifrig weiter gereicht werden - an RepräsentantInnen aus Politik, Wissenschaft und Verbänden. Ein Musterbeispiel, wie man Menschen ernst nimmt und ihnen ermöglicht, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen?


Von Klaus-Peter Görlitzer
Neunzehn BürgerInnen haben sich ausführlich informiert und sich auch eine Meinung gebildet. 19 BürgerInnen sind dafür, Gentests durch eine zentrale Zulassungskommission zertifizieren zu lassen. 19 BürgerInnen empfehlen, Gentests sollten ausschließlich vorgenommen werden von qualifizierten ÄrztInnen, bei vorliegender Indikation und nach vorausgegangener Beratung.19 BürgerInnen appellieren an den Gesetzgeber zu verhindern, dass Staat, Versicherungen und Arbeitgeber Gentest-Ergebnisse ohne Zustimmung der Betroffenen nutzen dürfen.19 BürgerInnen wünschen bessere Aufklärung und Beratung der Bevölkerung zur vorgeburtlichen Diagnostik.19 BürgerInnen meinen, die Forschung mit adulten Stammzellen solle ausgebaut und gefördert werden.19 BürgerInnen sind sich nicht immer einig:11 votieren gegen Zulassung von Präimplantationsdiagnostik (Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind) und Forschung mit embryonalen Stammzellen, 8 sind dafür.

    Sämtliche Empfehlungen stehen im "Bürgervotum zur Gendiagnostik", das 10 Frauen und 9 Männer auf Einladung des Deutschen Hygiene-Museums geschrieben haben. Die Gruppe war per Los zusammengestellt worden, nachdem 255 von 10.000 Menschen, die im Bundesgebiet von den InitiatorInnen angeschrieben worden waren, Bereitschaft zur Teilnahme an der "Bürgerkonferenz" zurückgemeldet hatten. Alle Auserwählten, das war Voraussetzung, mussten in Sachen "Gendiagnostik" Laien sein und als unabhängig gelten; an der Suche nach Erkenntnissen und Konsens durften sich ein Automobilverkäufer und zwei Hausfrauen ebenso beteiligen wie StudentInnen, Rentner, Zahnarzt und Kriminalhauptkommissar.

    Ins Thema arbeitete sich die Gruppe, angeleitet von einem Moderator, binnen zwei Wochenenden im Herbst ein, das Finale folgte Ende November: Während einer viertägigen Konferenz in Dresden bekamen die 19 Gelegenheit, mehr oder weniger prominente Experten wie Humangenetiker, Politiker, Ethiker, Juristen, Philosophen und Vertreter von Behinderten- und Selbsthilfeverbänden zu befragen; anschließend brachte die Gruppe ihr 9-seitiges Bürgervotum zu Papier, das, zumindest was Aufbau und Stil angeht, sehr an Stellungnahmen von Interessenverbänden erinnert.

    Die Schirmherrschaft über die "Bürgerkonferenz" hatte Edelgard Bulmahn übernommen, das Bundesforschungsministerium und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft förderten das Projekt mit insgesamt 270.000. Spätestens hier stellt sich die Frage: Zu welchem Zweck wurde der ganze Aufwand eigentlich betrieben?

Instrumentalisierbares "Bürgervotum"
    Bulmahns Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen, vehementer Befürworter von PID und Stammzellforschung, nahm das "Bürgervotum" in Dresden persönlich entgegen, bedankte sich freundlich für den "engagierten Beitrag zur laufenden öffentlichen Diskussion" und schloss nicht aus, dass dem Dresdner "Modellprojekt" weitere "Bürgerdiskurse" folgen könnten. Zuvor soll aber eine "Evaluationsstudie" die Erfahrungen mit der "Bürgerkonferenz" bilanzieren und bewerten.

    Die Veranstalter preisen ihr Projekt als "exemplarische Beteiligung" von BürgerInnen, das der "Kommunikation und Politikberatung" diene. Als Vorbild verweisen sie auf "Konsensus-Konferenzen" zu strittigen Technologien, die seit Mitte der achtziger Jahre vor allem in Dänemark regelmäßig abgehalten werden. Versteht man unter "Beteiligung" konkrete Einflussnahme, so sind Anspruch und Wirkung des dänischen Vorbilds allerdings ziemlich bescheiden: Der staatliche Technologierat, der die Konferenzen organisiert, will mit den BürgerInnenvoten ankurbeln, was in Deutschland seit vielen Jahren längst stattfindet: die politische und öffentliche Debatte zu Themen wie Gentechnologie und Biomedizin. Die Wirkung auf politische EntscheiderInnen schätzen Ida-Elisabeth Andersen vom Technologierat und die Kopenhagener Professorin Birgit Jaeger eher bescheiden ein. In einem Aufsatz, erschienen im Oktober 1999 in der Zeitschrift Science and Public Policy, resümieren sie: "Die Geschichte der Konsensus-Konferenzen zeigt auch viele Beispiele von Empfehlungen, die nicht erhört wurden und Ergebnisse, die keinen nachweisbaren Einfluss auf Technologiepolitik genommen haben." Die BürgerInnen seien "freiwillige und ehrenamtliche Berater, ohne jede Garantie, dass ihre Bemühungen bei künftigen Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden".

    So wie in Dänemark könnte es auch in Deutschland kommen, wenn das Modell "Bürgerkonferenz" tatsächlich Nachahmer und Geldgeber finden sollte; nicht in Sicht sind jedenfalls PolitikerInnen, die bereit wären, "Bürgervoten" als Instrument zu institutionalisieren, auf das Parlamente eingehen oder gar Rücksicht nehmen müssten.

    Trotzdem können "Bürgerkonferenzen" für PolitstrategInnen hoch interessant sein: Gefallen vorausgesetzt, lassen sich die Stellungnahmen - ähnlich wie Meinungsumfragen - medienwirksam als repräsentativ aufblasen und zur Durchsetzung politischer Ziele instrumentalisieren. Dabei kann man ein "Bürgervotum", das vermeintlich die Stimme des Volkes widerspiegelt, auch rhetorisch gegen BürgerInnen einsetzen - zum Beispiel gegen diejenigen, die, organisiert in Initiativen und Verbänden, seit Jahren die ParlamentarierInnen in Sachen Biopolitik mit Sachverstand und langem Atem unter Druck setzen. Zum Teil durchaus wirkungsvoll, wie die Geschichte der Bioethik-Konvention zeigt: Deutsche PolitikerInnen haben sich bis heute nicht getraut, den Völkerrechtsvertrag zu ratifizieren – wegen des Widerstands von BürgerInnen und Sozialverbänden, der sich in ungezählten Informationsveranstaltungen, Diskussionen, Aktivitäten und rund drei Millionen Protestunterschriften artikuliert hat.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2001
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aus:
BIOSKOP 

Nr. 16 (Dezember 2001)





















Informationen zu Gentests und Genforschung stehen  hier 



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

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