Rheinische Post   27. November 1999

"Kultur der Offenheit und Beteiligung"
Tauziehen in entscheidender Phase: Setzt der Bundestag
Enquete-Kommission zur Medizin-Ethik ein?


Von Klaus-Peter Görlitzer
Das politische Tauziehen um die Frage, ob der Bundestag eine Enquete-Kommission zu Medizinethik und –recht einsetzen soll, geht in die entscheidende Phase. Der SPD-Fraktion liegt ein neuer Antrag vor, der die Einrichtung des mit ParlamentarierInnen und Sachverständigen besetzten Beratungsgremiums empfiehlt; die Entscheidung soll spätestens im Dezember fallen.

    Das geplante Aufgabengebiet der 30köpfigen, nach Parteienproporz besetzten Enquete ist sehr umfangreich: Beleuchtet werden sollen unter anderem technischer Stand und Rechtslage zu Themen wie vorgeburtliche Diagnostik, künstliche Befruchtung, Gentests, Gentherapie, Keimbahnintervention, Embryonenforschung, Klonierung menschlicher Organe, Transplantation menschlicher und tierischer Körperteile, medizinische Versuche mit Menschen sowie die Verteilung knapper Ressourcen im Gesundheitswesen.

    Der Antrag pro Kommission stammt aus der Feder einer SPD-internen Arbeitsgruppe um  Wolfgang Wodarg. Der Gesundheitspolitiker rechnet fest damit, dass seine Fraktion, die Ende September noch mit Zwei-Drittel-Mehrheit gegen eine Medizinethik-Enquete votiert hatte, dieses Mal dafür stimmt. Ausschlag gebend für den Sinneswandel dürfte das Engagement zahlreicher Sozial- und Behindertenverbände, -Initiativen und Einzelpersonen gewesen sein: Sie haben Regierung und Parlament in den vergangenen Wochen mit Protestbriefen überschüttet und sich für die Enquete stark gemacht.

Wirkung ist fraglich
    Wenngleich der Stimmungswandel bei den Koaliitionsfraktionen sicher zu sein scheint und auch Unionsabgeordnete wie Hubert Hüppe die Unterstützung des Vorhabens zugesagt haben, ist fraglich, wann die Ethik-Enquete ihre Arbeit aufnehmen kann und was sie überhaupt wird bewirken können. Im Antrag, den SPD und Grüne Anfang 2000 gemeinsam ins Parlament einbringen sollen, gibt es keinen konkreten Termin für die Einsetzung der Kommission. Ob sie tatsächlich in der ersten Hälfte nächsten Jahres starten kann, ist daher ungewiss.

    Dabei drängt die Zeit, soll die Kommission politisch Einfluss nehmen. So hat Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) ein Gesetz zur Fortpflanzungsmedizin angekündigt. Es soll unter anderem klären, ob Techniken wie Präimplantationsdiagnostik (Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind) oder Klonierung embryonaler Stammzellen zu therapeutischen Zwecken hierzulande weiterhin verboten bleiben sollen oder nicht.

    Nur: Dass Regierung und Parlament vor Verabschiedung solcher Gesetze die Empfehlungen der Enquete-Kommission abwarten müssen, ist im Antrag von Wodarg und Parteifreunden nicht zwingend vorgesehen. Immerhin sollen wichtige Bundestagsgremien  Enquete-Expertisen zu anstehenden Gesetzen anfordern dürfen; der Abschlussbericht der Kommission soll bis Frühjahr 2002 vorliegen.

Furcht der Behindertenverbände
    Als das lange angekündigte Ethik-Gremium im September plötzlich zu kippen schien, befürchteten Behindertenverbände, nun werde auch die Bioethik-Konvention des Europarates wieder auf die politische Tagesordnung kommen. Der Vertrag erlaubt, was in Deutschland verboten ist: etwa medizinische Versuche  mit nichteinwilligungsfähigen Menschen sowie Forschung und Gentests an Embryonen.

    Inzwischen haben sechs Staaten den Völkerrechtsvertrag ratifiziert;; Deutschland gehört nicht dazu. Doch auch hierzulande stehen einflussreiche Politker wie Forschungsstaatsekretär Wolf-Michael Catenhusen (SPD) längst in den Startlöchern, um eine parlamentarische Debatte zwecks  Ratifizierung des Völkerrechtsvertrages zu initiieren - ungeachtet der Tatsache, dass der Bundestag angesichts öffentlicher Proteste  bisher keine Notwendigkeit sah, die Konvention zu ratifizieren.

    Offen ist, ob die Enquete die gefestigte Haltung gegen die Bioethik-Konvention tatsächlich wissenschaftlich untermauern wird - oder ob sie empfehlen wird, die deutsche Rechtslage aufzuweichen. Das gilt etwa für das kategorische Verbot von Forschung mit Embryonen oder mit  Menschen, die persönlich nicht einwilligen können.

    Immerhin verspricht die Begründung des Antrages mehr Bürgerbeteiligung. Die Kommission, heißt es da, "sollte durch die Einbeziehung der Öffentlichkeit auch eine neue Kultur der Offenheit, Transparenz und Beteiligung in der Ethik-Debatte begründen".


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 1999
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