Noch Mühe mit der neuen Pflicht 

Fast alle Eltern lassen das Blut ihres Babys auf seltene Erkrankungen testen. Viele Labors archivieren die getrockneten Blutproben – ohne Wissen der Betroffenen. Nun gibt es endlich Regeln, die Missbrauch verhindern können – sofern Mediziner sich dran halten.

Von Klaus-Peter Görlitzer

Mit der Sammelei muss es nun vorbei sein. Denn seit April gelten neue Richtlinien zur "Früherkennung von Krankheiten bei Kindern". Sie sollen einen im Zeitalter der Molekulargenetik brisanten Zustand beenden, den Datenschützer vor zwei Jahren öffentlich gemacht haben: dass viele Labors Probenreste der freiwilligen Babyblut-Untersuchung ohne Wissen der Eltern aufbewahren.

    Über das Ergebnis der Analyse werden Eltern nur informiert, wenn es auffällig ist. Die Wahrscheinlichkeit ist gering: Weniger als eines von tausend Kindern wird hierzulande mit einer schweren Stoffwechsel- oder Hormonstörung geboren. Bei der Analyse wird die getrocknete Blutprobe nicht vollständig verbraucht, ein Rest verbleibt auf der Testkarte.

    Im Juli 2003 hatte der damalige hessische Datenschutzbeauftragte Friedrich von Zezschwitz den Landtag alarmiert. Das Universitätsklinikum Gießen führe eine zentrale Datei, die Blutproben und Namen aller Menschen erfasse, die nach 1972 in Hessen geboren wurden. Anfang 2004 berichteten Hamburger Datenschützer, sie seien bei einer Prüfung im Uniklinikum Eppendorf (UKE) fündig geworden: Auf tausenden Karten, gesammelt seit 1992, lagerten Blutproben, die mit den Personalien von Kindern und Müttern verbunden seien; die Befunde seien elektronisch gespeichert.

    Solche Blutprobensammlungen seien "besonders gefahrenträchtig", warnte von Zezschwitz, weil sie als "potenzielle Gendatenbank" genutzt werden könnten. Sein damaliger Hamburger Kollege Hans-Hermann Schrader verwies darauf, dass Uni-Kliniken zunehmend den kommerziellen Wert menschlicher Körpersubstanzen entdeckten und diese auch für zahlungskräftige Forscher und Firmen bereit hielten.

    Die reformierten "Kinder-Richtlinien" sollen nun das Nutzen von Testblut für Forschungsprojekte ohne Einwilligung der Eltern ausschließen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Gremium aus Ärzten, Krankenkassen, Kliniken und Patientenvertretern, hat beschlossen, dass Labors die Restblutproben spätestens nach drei Monaten vernichten müssen. Mit der Drei-Monats-Frist werde "Datenschutzaspekten Vorrang eingeräumt", schreibt der Ausschuss-Vorsitzende Rainer Hess zur Begründung.

Berlin im Widerspruch
    Doch an die neue Pflicht zum Vernichten der Blutproben nach drei Monaten müssen sich manche Screening-Ärzte wohl erst gewöhnen. So teilte das Berliner Uni-Klinikum Charité Anfang Juli einer jungen Mutter auf Anfrage mit: "Hier in Berlin sehen wir das größere Problem nicht im eventuellen Missbrauch gelagerter Restblutproben, sondern in einem eventuell notwendigen Nachweis einer fehlerhaften Abnahme, Zuordnung oder Bestimmung im Labor." Was die zuständige Professorin und der Laborleiter daraus folgern, widerspricht den neuen Regeln: "Wir halten es daher für richtig und wichtig, in Ihrem und unserem Interesse die Probe nicht wie vorgesehen frühzeitig zu vernichten. In Berlin haben wir uns auf eine Vernichtung zur Volljährigkeit Ihres Kindes, d.h. nach 18 Jahren, entschieden."

    Eine wissenschaftliche Nutzung der Trockenblutproben, schreiben die beiden Charité-Ärzte, sei "zur Zeit nicht beabsichtigt". Dann geben sie noch einen Hinweis: "Falls Sie eine Aushändigung oder Vernichtung der Probe zum jetzigen Zeitpunkt wünschen, müssten Sie uns dies noch einmal ausdrücklich zur Kenntnis geben."

    Wie man uneinsichtige Mediziner bewegen will, geltendes Recht zu befolgen, ist eine offene Frage; Kontrollen sind jedenfalls ebensowenig vorgesehen wie Sanktionen bei Verstößen. Außerdem sagen die neuen Richtlinien nichts zum Verbleib alter Proben, die vor April 2005 entnommen wurden.

    In Hessen hat sich zumindest etwas getan. Dort seien alle vor 1996 entnommenen Restblutproben in diesem Sommer vernichtet worden, versichert die Medizinerin Angela Wirtz aus dem Sozialministerium. Die zwischen 1996 und April 2005 angelegten Testkarten würden verschlüsselt aufbewahrt und erst zerstört, wenn die betroffenen Kinder zehn Jahre alt geworden sind. Auf dieses Vorgehen, das allerdings nicht dem Geist der neuen Richtlinien folgt, hätten sich Ministerium, Gießener Screeningzentrum und Datenschützer geeinigt. Ähnliches wurde auch in Hamburg vereinbart. Im Uniklinikum der Hansestadt sollen pseudonymisierte Restblutproben maximal fünf Jahre lagern.


© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 2005
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aus:
Südwest Presse 

15. September 2005


Neugeborenenscreening

Die Reihenuntersuchung (Screening) von Babys auf angeborene Erkrankungen wurde im April 2005 auf ingesamt zwölf seltene Stoffwechsel- und Hormon- störungen ausgedehnt. Aus der Ferse des Neugeborenen entnehmen Ärzte, Hebammen oder Pflegekräfte eine Blutprobe zwecks Testung. Ist das Labor-Ergebnis auffällig, folgt eine diagnostische Untersuchung. Erst sie kann klären, ob das Baby krank ist. Die zwölf gesuchten "Zielkrankheiten" sind nicht heilbar; aber Ärzte können sie lindern.
Zwei Beispiele:
 Bei Phenylketonurie, die ohne Therapie zu geistiger Behinderung führen kann, soll eine Spezialdiät helfen. Hypothyreose, eine Unterfunktion der Schilddrüse, wird mit Hormongaben behandelt. Als Vorbild für das erweiterte Screening gilt ein Modellprojekt in Bayern. Dort wurden zwischen 1999 und 2004 Blutproben von 688.987 Säuglingen getestet. Dabei wurden bei 567 Babys Stoffwechsel- oder Hormonstörungen entdeckt.



Was Eltern tun können

Die geltenden "Kinder-Richtlinien" verlangen, dass Screening-Ärzte Restblutproben spätestens nach drei Monaten vernichten müssen.
Geschehen wird dies wohl nur, wenn Eltern beherzt nachhaken. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollten das Screening-Zentrum nach erfolgter Blutanalyse anschreiben und ausdrücklich verlangen, dass ihm/ihr die Testkarte mit den Restblutproben per Briefpost zugeschickt wird
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