Risiken der Wissenschaft
"Bioethik" fragt danach, ob alles, was wissenschaftlich machbar ist, auch ethisch vertretbar sein kann. Dafür haben Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers und die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine Initiative gestartet. Finanziert wird diese mit Steuermillionen, dabei hat das Parlament seinen Segen noch nicht gegeben.


Von Klaus-Peter Görlitzer

"Diskussionen im Bereich der sogenannten Bioethik", klagte DFG-Präsident und Genforscher Ernst-Ludwig Winnacker Mitte Juni vor der Bonner Wissenschaftspressekonferenz, "sind vor allem in Deutschland häufig von Angst und Irrationalität geprägt." Daher sei es notwendig, "den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit in diesen Fragen zu versachlichen".

    Winnacker stört, daß manches, was die von Bund und Ländern finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) als "neue Handlungsmöglichkeit" fordert, hierzulande bei vielen BürgerInnen und wenigen PolitikerInnen auf Ablehnung stößt, etwa Forschung und Gentests an Embryonen oder das Übertragen von Tierorganen auf Menschen. Befürwortet wird von der DFG auch die Zeichnung der Bioethik-Konvention des Europarates, gegen die bereits über 1,5 Millionen Menschen und ein überfraktionelles "Bündnis für Menschenwürde" im Bundestag protestiert haben - mit einigem Erfolg: Der umstrittene Völkerrechtsvertrag war im Jahr der Bundestagswahl nicht durchsetzbar; ob die Bundesrepublik ihm doch noch beitreten wird, können Regierung und Parlament somit erst nach der Wahl entscheiden.

    Ihre forschungspolitischen Interessen will die DFG künftig noch besser zur Geltung bringen. Bei der Überzeugungsarbeit soll die sogenannte "Förderinitiative Bioethik" helfen. Das Programm stellt für Projekte und Tagungen fünf Jahre lang jeweils 1,5 Millionen Mark bereit. Aussichten auf eine Finanzspritze haben theologische und philosophische Ethiker, Mediziner, Juristen, Ökonomen und Soziologen, die zu einer Zusammenarbeit über die Fachgrenzen bereit sind. Laut Ausschreibungstext sollen sie mitwirken beim "Management der sozialen Risiken und der Folgen, die bei der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse entstehen".

    In der ersten Auswahlrunde hat der DFG-Hauptausschuß unter 42 eingereichten Anträgen 14 Forschungsprojekte bewilligt, die zunächst zwei Jahre mit insgesamt 3,1 Millionen Mark gefördert werden. Die meisten dieser Vorhaben thematisieren Techniken, medizinische Eingriffe und Forschungen, die hierzulande rechtlich verboten oder gesellschaftlich umstritten sind, zum Beispiel: Forschung mit nichteinwilligungsfähigen PatientInnen; Klonierungstechniken beim Menschen, Präimplantationsdiagnostik (Gentests an Embryonen im Reagenzglas), Organherstellung aus embryonalen Stammzellen und Xenotransplantation (Übertragen von Tierorganen auf Menschen), altersbezogene Rationierung von Gesundheitsleistungen, Kriterien für den tödlich wirkenden Behandlungsabbruch bei Krebskranken und Kindern.

    Abzusehen ist, daß das Bioethik-Programm in den kommenden Jahren politische Wirkung entfalten wird: Ethische und rechtliche Grenzen, die bisher noch als gesellschaftlich und politisch akzeptiert gelten, dürften bald mit Verweis auf die wissenschaftlich ermittelten Projektergebnisse systematisch in Frage gestellt werden. Für diese Prognose spricht nicht nur die ausdrückliche Unterstützung der Bioethik-Initiative durch Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers, sondern auch die Auswahl der mehr oder minder bekannten Hochschulprofessoren, die für die einzelnen, miteinander vernetzten Vorhaben verantwortlich zeichnen.

    Zum Beispiel der Berliner Psychiater Hanfried Helmchen. Er fordert seit Jahren zu tun, was das deutsche Arzneimittelgesetz noch verbietet: Forschung ohne therapeutischen Nutzen an demenzkranken PatientInnen, die nicht in der Lage sind, persönlich einzuwilligen. Nun darf Helmchen mit DFG-Mitteln empirische Untersuchungen zu Einwilligungsfähigkeit und zum "Prozeß des informed consent" (informierte Zustimmung zu medizinischen Eingriffen) bei psychisch Kranken anstellen, die bisher noch als nicht einwilligungsfähig gelten.

    Zum Beispiel der Bonner Philosoph Ludger Honnefelder: Er ist nicht nur Leiter des künftigen Bioethik-Referenzzentrums, er hat auch die umstrittene Bioethik-Konvention mitformuliert. Der europäische Vertrag billigt unter anderem Gentests an Erwachsenen, im Rahmen der vorgeburtlichen Diagnostik und an Embryonen im Reagenzglas. Nun darf Honnefelder mit DFG-Mitteln erforschen, ob mit "Selektion aufgrund genetischer Diagnostik" zu rechnen sei und welche medizinischen, ethischen und rechtlichen Aspekte zu beachten sind.

    Zum Beispiel der Duisburger Philosoph Hartmut Kliemt. Er hat vor Jahren Aufmerksamkeit erregt mit seinem "Club-Modell" zur Organtransplantation, demzufolge nur solche PatientInnen Körperteile beanspruchen können, die vorher ihre Bereitschaft zur "Organspende" erklärt haben. Nun darf Kliemt mit DFG-Mitteln zwei Jahre lang über "altersbezogene Rationierung von Gesundheitsleistungen im liberalen Rechtsstaat" nachdenken. Dabei kann er auch eine Frage beantworten, die DFG-Präsident Winnacker in der Ausschreibung zur Bioethik-Initiative gestellt hatte: "Inwieweit ist ´Gesundheit´ eine öffentliche Aufgabe?"

    Wie man umstrittene Handlungsmöglichkeiten in Bereichen wie Gentechnik, Transplantationsmedizin und Gesundheitspolitik bioethisch rechtfertigen kann, haben auch weitere ProjektleiterInnen wiederholt vorgeführt. Zu diesen ExpertInnen zählen der Göttinger Jurist Hans-Ludwig Schreiber, die Münsteraner Philosophen Kurt Bayertz und Ludwig Siep, die Tübinger Philosophin Eve-Marie Engels, die Freiburger Medizinethikerin Stella Reiter-Theil und der Münchner Transplantationschirurg Walther Land.

    Gleich mit zwei Projekten zu "Patientenaufklärung und klinischen Entscheidungskonflikten" im DFG-Programm vertreten ist der Bochumer Philosoph Hans-Martin Sass, der auch Direktor des Europäischen Ethik-Programms am "Kennedy Institute of Ethics" der Georgetown University in Washington ist. Sass genießt den Ruf, Generalimporteur der in den USA entwickelten Bioethik zu sein; seine Güterabwägungen preist er gern als "Serviceleistungen für das individuelle Gewissen" an. Zur Zeit engagiert er sich gerade für die Verbreitung von Betreuungs- und Patientenverfügungen, mit denen Verfasser in gesunden Tagen erklären können, daß sie irgendwann, etwa nach Eintritt eines Komas oder einer Demenz-Erkrankung, durch Unterlassen notwendiger medizinischer Behandlung von ÄrztInnen ums Leben gebracht werden wollen.

    Als eher kritischer Beobachter der Reproduktionsmedizin gilt dagegen der katholische Theologe Dietmar Mieth vom Tübinger Ethik-Zentrum. Auch er wird durch das Bioethik-Programm der DFG unterstützt, Thema seiner Studie sind "Ethische Fragen der in-vitro-Techniken am Beginn des menschlichen Lebens".

© KLAUS-PETER GÖRLITZER, 1998
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aus:
die tageszeitung

22. August 1998